Ikonen wollen eine Botschaft vermitteln, und diese Botschaft soll verstanden werden können. Und das, was verstanden werden soll, muss auch das Richtige sein. Deshalb sind lkonen nicht beliebig malbar. Sie sind nicht Ausdruck der persönlichen Empfindung eines Künstlers, sondern eine Mitteilung über die religiösen Erfahrungen aller Gläubigen und für alle Gläubigen. Sie müssen sich daher an bestimmte Regeln halten, so dass sie von allen Gläubigen verstanden werden können. Diese Regeln nähren sich aus der Heiligen Schrift, den liturgischen Texten, den Gedanken der Kirchen- väter und auch aus dem Leben der Heiligen. Die formale äußere Gestaltung der lkone ist also nicht beliebig. Darüber hat sich innerhalb der orthodoxen Kirche über die vergangenen 14 Jahrhunderte ein Übereinkommen entwickelt.
Der Maler begibt sich bewusst in ein seit dem 6. Jahrhundert bestehendes Regelsystem, welchem er sich unterordnet, denn er verkündet nicht sich selber, sondern die allen Gläubigen gemeinsame Erfahrung mit Gott und seinen Heiligen und mit ihrem Leben aus dem Glauben.
Im siebten ökumenischen Konzil zu Nizäa im Jahre 787
stellten die Konzilsväter fest: Zwischen der dargestellten Person und
ihrem Bild besteht eine enge Bindung, die durch die Ähnlichkeit des
Bildes mit dieser Person zum Ausdruck kommen muss. Deshalb muss die
lkone den Porträt- charakter wahren und auch die Überlieferung ernst
nehmen, wie im Wesentlichen eine bestimmte Person ausgesehen hat. Eine
willkürliche Veränderung der Abbildung nach der Eingebung des Künstlers,
ist also nicht vorgesehen. Von daher können lkonenkenner verschiedene
Personen und Situationen etwa biblischen oder liturgischen Geschehens
leicht auseinander halten und erklären.
Der bedeutsamste Einwand
der Gegner einer Herstellung und Verehrung von Christusbildern war die
Frage nach der Darstellbarkeit der göttlichen Natur Jesu Christi.
Selbstverständlich war es kein großes Problem, Porträts von Christus zu
malen, doch ein solches Abbild konnte doch immer nur die menschliche
Seite Christi darstellen. Seine göttliche Dimension blieb dabei
unbeachtet, und in dieser Hinsicht war ein reines Porträt Christi
eigentlich ebenso unangemessen.
Die Antwort auf diesen Einwand
ist der Grund dafür, warum lkonen immer ein wenig fremd und nicht
naturalistisch sind: Es ist die Notwendigkeit einer symbolhaften
Darstellung, die auch nach den hinter dem Gegenständlichen liegenden
Ideen fragt. Die Kirchenväter stellten ja fest: Jesus der Christus
war ganz Mensch und ganz Gott. Dieses Göttliche war zwar nicht sichtbar,
es kommt aber immer wieder verborgen zum Ausdruck. Als Mensch ist uns
Jesus Christus ganz nah, als Gott aber ist er immer auch ganz anders.
Dieses "Ganz ‑ anders ‑ Sein" zeigt auch die lkone. Die Elemente des
Porträts zeigen den Menschen Jesus, ‑ die verfremdende Stilisierungen
zeigen das Fremde, das Unsagbare und bringen so seine göttliche Natur
mit zum Ausdruck. Nur so, unter der Wahrung der Balance zwischen
diesen beiden Dimensionen Jesu Christi, ist sein Bild wirklich eine
lkone, in der für den orthodoxen Gläubigen Jesus Christus so gegenwärtig
ist, wie im Wort Gottes und im eucharistischen Sakrament.
Die Heiligen, die durch ihre Gemeinschaft mit Christus in die Gottesge- meinschaft
geführt wurden, sind von Gott ebenfalls ganz durchdrungen. Das
bedeutet, dass auch die lkone einer heiligen Person nicht beliebig
gemalt werden kann, sondern sich an die überlieferten Regeln halten
muss, innerhalb derer es jedoch durchaus für jeden Ikonenmaler viele
gestalterische Freiräume gibt.
Der
weitaus größte Teil der lkonen wurde schon immer und wird auch heute
noch von älteren Vorlagen und alten, teilweise noch aus dem 9.
Jahrhundert stammenden Handbüchern abgemalt. Vielfach hört man deshalb
die Meinung, die Ikonenmalerei sei doch nur ein reines Kopieren.
Aber
das ist nicht richtig. Sonst wäre diese Malerei immer auf einzelne ganz
wenige Standarddarstellungen beschränkt geblieben. Niemand hätte jemals
neue Motive zu entwerfen gewagt.
Zu allen Zeiten schufen
Ikonenmaler aber auch neue Themen oder neue Varianten einer schon
existierenden Darstellung. Wie anders ließe sich die unübersehbar große
Zahl an Ikonenthemen erklären. Allein die vielfältigen Typen von
Muttergottesdarstellungen, die in Russland im Laufe der Jahrhunderte
entstanden sind, sind Beweis genug dafür, dass in der Ikonenmalerei
neben dem Kopieren auch Weiterentwicklung und Neuschöpfung möglich
waren. Ein andauerndes bloßes Kopieren hätte diese vielfältige
Entwicklung nicht ermöglicht. Selbst dann, wenn bewusst ein ganz
bestimmter lkonentyp gemalt wurde, geschah dies selten in
unselbständiger Kopie. Man versuchte, die wichtigsten Erkennungsmerkmale
zu übernehmen, so dass das neu gemalte Bild für jeden erkennbar war.
Dennoch waren diese Kopien mit dem Vorbild nicht absolut identisch.
Wichtig war nicht die exakte Kopie, sondern die Beibehaltung des
grundlegenden Kanons symbolischer Strukturen, der sich aus der Liturgie
und Theologie der orthodoxen Kirche ergab.
Die Regeln der Ikonenmalerei, die wie die Grammatik
einer Sprache in Jahrhunderten gewachsen sind, eigenmächtig zu
verändern, bedeutet die Verständlichkeit dieser Bildsprache zu
zerstören. Genauso wenig wie ein Schriftsteller, wenn er
verständlich bleiben will, die Regeln und Worte der Sprache in einem
größeren Umfang verändern wird, darf ein Ikonenmaler diese symbolische
Sprache verändern. Denn diese Symbolik ist nicht nur auf die lkonen
bezogen, sondern ebenso auf das gesamte religiöse Leben in der
orthodoxen Kirche. Zum Beispiel die Perspektive in der dargestellten
Architektur. Sie wird umgekehrt gemalt. lkonen sind Fenster zur
Ewigkeit. Die Sicht des Betrachters oder Beters weitet sich zum Himmel
hin. Der Fluchtpunkt liegt also nicht in der Entfernung, wie es bei uns
eigentlich üblich ist, sondern bei ihm, dem Betrachter selbst. Unkundige
Maler werden also die „eigenartigen“ Architekturen der lkonen
korrigieren wollen. Szenen auf lkonen werden meist auch im Freien
dargestellt. Tücher, die eventuell quer über die Architektur gemalt
sind, sind dann aber in der Regel keine Vorhänge, sondern ein Zeichen
dafür, dass die dargestellte Szene in einem geschlossenen Raum zu denken
sei, auch, wenn sie in einem offenen gemalt ist, da der geschlossene
Raum die Größe des Geschehens nicht zu fassen vermöge.
Schönheit, künstlerische Brillanz und Raffinesse
sind nicht das erste Ziel der Ikonenmalerei, sondern eine allen verständliche Aussage über den Glauben. Daher tritt bei den alten lkonen der Maler meist hinter seinem Werk zurück. Die meisten lkonen sind nicht signiert. Sie sind ja mehr Ausdruck der religiösen Gemeinschaft als Ausdruck des einzelnen. Beim Malen, einer lkone muss ein langsamer, und vor allem auch in vielen Schichten unbewusst ablaufender, Prozess des Hineinwachsens in die eigene lkone angenommen werden. Das langsame Aneignen der für die Ikonenmalerei typischen Formensprache, welche ja immer nur vom Begreifen des Einzelnen zum Ganzen führen kann, ist oft mühsam und langwierig. Mit dem Blick auf das fertige Ganze darf aber nicht die Mühe des Details verdrängt werden. Zudem ‑ und das ist das für die Ikonenmalerei eigentlich wesentliche ‑ sind diese Mühen hilfreich, um langsam in die geistige Dimension der lkone hinein zu wachsen. Lässt man diesen Vorgängen genügend Raum, wird sich das lkonenmalen auch zu einem persönlichen geistlichen Entwicklungsprozess entfalten.
So wird es auch möglich, die Ikone nach ihrer
Fertigstellung zu segnen und mit der Bitte zu versehen, dass Gott denen,
die vor ihr betend seine Wirklichkeit suchen, nahe sei.
Eine Woche Ikonenmalen mit mir: Gerne lade ich Sie ein, eine Woche lang bei mir das Ikonenmalen zu erlernen. Sie malen in meiner kleinen Werkstatt und wohnen in einem naheliegenden Gasthaus.
Zwei Malplätze kann ich zur Verfügung stellen. Fürchten Sie sich nicht. Bis jetzt hat das noch jeder geschafft, wenn er es nur wollte. Fragen Sie mich doch einfach einmal an.